Choraufstellungen – Ein Überblick

Dieser Artikel beinhaltet eine überarbeitete Fassung eines zentralen Abschnitts meiner Zulassungsarbeit zum Thema „Leistungsunterschiede im Laienchor“ vom April 2013.

Die verwendete Literatur findet sich am Ende des Artikels.


A. Einleitung

Die herangezogene Original-Literatur ist oftmals englischsprachig. Um den Lesefluss nicht zu stören habe ich mich um eine sinngemäße Übertragungen der Fachtermini ins Deutsche bemüht. Aufgrund der Übertragung besteht allerdings Verwechslungsgefahr zwischen den Begriffen Choraufstellung (engl.: choir/seating arrangement) und Chorformation (engl.: choir formation). Eine bestimmte Choraufstellung resultiert dabei aus der Wahl der Chorformation (z.B. Stimmgruppen-Formatiom im Halbkreis) und der Bestimmung weiterer Parameter wie z.B. Abstände zwischen den Chormitgliedern. Choraufstellung ist umfassender als der Begriff Chorformation und ihm übergeordnet.
Eine Änderung der Choraufstellung kann grundsätzlich drei Motivationen entspringen:
  1. Die Satztechnik des Stücks erfordert eine bestimmte Aufstellung (z.B. doppelchörig)
  2. Ein dramaturgisch-optischer und/oder -akustischer Effekt soll erreicht werden (häufig bei Jazz/Rock/Popchören zu beobachten).
  3. Der Lernprozesses soll durch eine bestimmte Choraufstellung begünstigt werden.
  4. Ein besserer Chorklang soll erzielt werden.

Die Erfordernisse bestimmter Satztechniken (1.) und dramaturgische Effekkte (2.) sollen kein Gegenstand der weiteren Betrachtungen sein. Inwiefern Methoden der Choraufstellung die Qualität und Geschwindigkeit des Lernprozesses (2.) begünstigen und Einfluss auf den Chorklang (3.) haben, wird im Verlauf des anschließenden Überblicks dargestellt.

B. Exkurs: Chorklang

Bestimmte Methoden der Choraufstellung zielen darauf ab, solche Parameter positiv zu beeinflussen, die zu einem guten Chorklang beitragen.
Die wichtigsten Parameter sollen zunächst kurz definiert werden, um im weiteren Textverlauf keine Missverständnisse zu verursachen.

1. Chorische Intonation

Chorische Intonation wird als der Prozess definiert, die richtige Tonhöhe zu singen und die Tonalität zu bewahren (Triplett, 1971 in Tocheff, 1990, S. 31). Für einen befriedigenden Chorklang muss also sowohl die Intonation innerhalb der Chorstimme als auch die Intonation der einzelnen Chorstimmen zueinander gelingen. Mögliche Gründe für schlechte chorische Intonation sind zahlreich. Heffernan (1982; in Tocheff, 1990, S. 32) führt unter anderem diese Faktoren auf: (1) schlechte Stimmgebung, schlechte Haltung, fehlende Atemstütze und Körperspannung; (2) Unsicherheit mit der Größe der zu singenden Intervalle; … (6) nicht-kompatible Stimmen singen zusammen …(11) schlechte Hörbarkeit anderer Chormitglieder.

2. Blending

Der englische Begriff „blending“ bezeichnet die Leistung der Chorsänger den eigenen Gesang mit anderen Stimmen zu einer einheitlichen Klangfarbe mischen können. In homophoner Satztechnik gilt dies in Bezug auf den ganzen Chor, bei polyphonen Passsagen vor allem zur eigenen Stimmgruppe.
Geübte Chorsänger können ihren Grundklang bis zu einem gewissen Grad manipulieren um sich in den Chorklang einzupassen. Die individuelle Anatomie des Vokaltrakts jedes Menschen setzt aber auch Grenzen bei der Mischfähigkeit. So gibt es naturgemäß Stimmen, die sich besser oder schlechter miteinander mischen.

3. Balance

Mit Balance ist die Ausgewogenheit der Lautstärke zwischen den Stimmgruppen und auch innerhalb einer Stimmgruppe gemeint; bei letzterem soll kein Sänger bezüglich seiner Lautstärke aus seiner Stimmgruppe herausstechen. Die Balance zwischen den Stimmgruppen ist differenzierter, da hier auch satztechnische Maßgaben zu berücksichtigen sind (z.B. Die Melodie liegt nicht in der Oberstimme). Voraussetzung für eine gute Balance ist, wenn die  Bezugsgruppe für den einzelnen Sänger gut hörbar ist, während er sich auch selbst noch gut hören kann.

4. Freie Tonproduktion

Die Qualität des Chorklangs resultiert nicht nur aus den genannten Aspekten, sondern wird auch von der Leichtigkeit der Tonproduktion beeinflusst. Je leichter die Tonproduktion jedem einzelnen Sänger fällt, desto mehr profitiert der Chorklang hinsichtlich gefälliger Klangfarben und des dynamischen Potentials. Eine freie Tonproduktion ist freilich auch Voraussetzung für das Gelingen längerer Chorproben oder Aufführungen.

C. Choraufstellung und Chorklang

Sobald eine Choraufstellung vom Chorleiter bewusst gewählt bzw. verändert wird kann man – aus dem Englischen entlehnt – von Arrangieren sprechen. Wang (2006) unterscheidet hier zwei Bereiche:

Makro-Arrangement: Die Position eines Sängers innerhalb des Chors wird auf Grund seiner Stimmgruppen-Zugehörigkeit festgelegt.

Mikro-Arrangement: Die Position eines Sängers wird auf Grund individueller Merkmale festgelegt wie z.B. Klangfarbe, Sicherheit, Notenlesefähigkeit.

1. Makro-Arrangements

Es folgen Formationen in Stimmgruppen, sowie gemischte und hybride Chorformationen.

Chorformationen in Stimmgruppen (sectional block)

Es gibt eine Fülle von Varianten einen Chor in Stimmgruppen aufzustellen. Tocheff führt in seiner Übersicht 27 verschiedene Stimmgruppen-Formationen auf (1990, S.55 ff.), die allesamt von Chorleitern in Büchern oder Artikeln beschrieben und auch benutzt wurden. Einige dieser Formationen sind für mehrchörige oder mehr als vier-stimmige Chorstücke ausgelegt. Der folgende Abschnitt beschränkt sich hingegen auf die gängigsten Formationen für vierstimmig gemischten und gleichstimmigen Chor.

Eine sehr weit verbreitete Chorformation (A) zeigt Abbildung 1. Eine übliche Abwandlung dieser Formation besteht darin, den Tenor- und Bassblock miteinander zu vertauschen, um eine bessere Kopplung der Außenstimmen zu erreichen, was einen positiven Effekt auf die Intonation des ganzen Chors haben soll. Die Form ist kompakt und begünstigt die Hörbarkeit der Bassstimme für alle anderen Stimmen. (Tocheff, 1990, S.55; Göstl, 2006, S.82)

Bei einstimmigen Chören (Männer, Frauen- und Kinderchöre) hat sich Formation B etabliert, aber auch bei Gemischten Chören kann eine solch horizontale Formation Sinn machen. Gegenüber Formation A können sich die tieferen Stimmen hier nicht mehr hinter den Oberstimmen „verschanzen“. Die Präsenz jeder Stimmgruppe wird gleichermaßen unterstützt. Die dirigentische Hinwendung ist zu allen Stimmen gleich leicht und auch un- missverständlicher möglich. Ein weiterer Vorzug kann das Gegenüber der Außenstimmen sein. (Göstl, 2006, 82 f.)

Auch hier ist es Praxis einen Platztausch der Stimmgruppen z.B. zu SBTA vorzunehmen mit der Hoffnung auf verbesserte Intonationsbedingungen (Tocheff, 1990, S.58). Formation B ist jedoch für große Chöre ungeeignet. Sie ist breiter als A und verliert ihre Vorzüge, sobald der Chor in mehr als drei Reihen stehen müsste. Auch sind Chöre mit stark unterschiedlich großen Stimmgruppen mit dieser Chorformation nicht gut beraten.

Gemischte Chöre leiden häufig unter Männermangel. Dem geschuldet ist Chorformation C. Gerade bei kleinen Bassgruppen begünstigt die Position in der hinteren Mitte die Hörbarkeit der Bassstimme für alle anderen Stimmen. Andere Stimmen können so besser zum Bass intonieren und ihre eigene Lautstärke anpassen. (Tocheff, 1990, S.56)

Sopran und Alt sind hier räumlich getrennt, was gerade in Räumen mit kurzen Nachhallzeiten zu Problemen beim Blending der Frauenstimmen führen kann. Bei noch kleineren Männergruppen modifiziert man diese Aufstellung dahingehend, dass die Bässe neben die Tenöre in die vordere Position rücken und von den Frauenstimmen hinten umschlossen werden. Auch zahlenmäßig sehr unterlegene Männergruppen haben so eine Chance noch gehört zu werden. (Tocheff, 1990, S.59 ff.)

Gemischte Chorformationen

Formen der gemischten Chorformation sind die Quartettformation, zufällig-gemischte Choraufstellungen und solche nicht-zufällig-gemischten Aufstellungen, die durch Hilfe von Mikro-Arrangement entwickelt werden (siehe Seite 18).

Eine Quartettformation, auch „amerikanische“ Choraufstellung genannt (Göstl, 2006), zeigt Abbildung 4. Der Chor ist zu Quartetten zusammengestellt worden, in denen jede Stimmgruppe einmal vertreten ist. Formationen dieser Art sollen die Eigenständigkeit der Sänger fördern, da sie keine Hilfe aus ihrer Stimmgruppe erhalten. Weiter wird erwartet, dass auch Intonation, Blending und Balance durch die Hörbarkeit aller Stimmen erleichtert wird.

Auch bei zufällig-gemischten Chorformation (random mixed/scrambled) ist es üblich, dass niemand neben einem Sänger aus der eigenen Stimmgruppe steht, wie es auch Abbildung 5 zeigt. Sozusagen „Zufällig mit Einschränkungen“.

Einige Autoren weisen darauf hin, dass die Wahl der Chorformation mit Bedacht erfolgen sollte. So wird bezüglich gemischter Chorformationen auf die Gefahr hingewiesen, schwächere Sänger dadurch noch weiter zu verunsichern, einzelne gar zu traumatisieren (Göstl, 2006, S. 83). Dabei sollen doch gerade gemischte Formationen dabei helfen, unsichere Sänger dazu bewegen, ihre Chorstimme selbstständig, also ohne die Hilfe der Stimmgruppe darzubieten. Dagegen sehen sich Formationen in Stimmgruppen der Kritik ausgesetzt, Abhängigkeiten schwächerer Sänger von ihren stärkeren Nachbarn in der Stimmgruppe zu begünstigen (Tocheff, 1990, S.55).

Die wichtigsten Aspekte für und gegen die beiden Aufstellungsformen werden zur besseren Übersicht stichpunktartig zusammengefasst (Tocheff, 1990, S.54 ff.):

Stimmgruppen-Formationen

positiv:

  • Verkürzt die Einstudierungszeit, weil a) die eigene Produktion ständig mit der der restlichen Stimmgruppe verglichen werden kann und b) unsichere Sänger sich an ihren sichereren Nachbarn orientieren können.
  • Erleichtert Blending und Balance innerhalb der Stimmgruppe.
  • Anzeigen der Einsätze durch den Chorleiter in Richtung der jeweiligen Stimmgruppe möglich.

negativ:

  • Begünstigt Abhängigkeiten.
  • Erschwert Intonation und freie Tonproduktion, da die Hörbarkeit anderer Stimmgruppen und der eigenen Stimme durch den quasi-unisono Gesang innerhalb der eigenen Gruppe beeinträchtigt ist.
  • Ein einziger Sänger kann die gesamte Stimmgruppe negativ beeinflussen, indem andere Sänger z.B. seine schlechte Intonation zugunsten von Blending innerhalb der Stimmgruppe mitvollziehen.

Gemischte Formationen

positiv:

  • Fördert und fordert die Eigenständigkeit der Sänger.
  • Erleichtert Balance und Blending zu anderen Stimmgruppen.
  • Erleichtert Intonation und freie Tonproduktion durch die gute Hörbarkeit der eigenen Stimme, da man mit benachbarten Sängern keine gemeinsame Grundfrequenz teilt.

negativ:

  • Erschwert Blending und Balance innerhalb der Stimmgruppe.
  • Führt häufig zu Verunsicherung schwächerer Sänger.
  • Erschwert dirigistische Hinwendung.

Neben den genannten „klassischen“ Chorformationen gibt es einen weiteren Ansatz, der versucht etwaige negative Effekte der beiden Aufstellungsformen zu umgehen. Hybride Chorformationen sind bisher jedoch wenig verbreitet (siehe nächste Seite).

Hybride Chorformationen

Hybride Chorformationen versuchen die Vorteile von Stimmgruppen-Formationen und gemischten Formationen zu vereinen während die Nachteile minimiert werden sollen. Abbildung 6 zeigt eine hybride Formation, die eine vertikale gemischte Formation mit einer horizontalen Stimmgruppen-Formation kombiniert. Vertreter dieser Formation erwarten, dass die Intonation erleichtert wird, da alle Sänger die Bassstimme aus der letzten Reihe hören können.

Eine andere Variante zeigt Abbildung 7. Eine horizontale Quartett-Formation soll Blending fördern während eine Orientierung an der eigenen Stimmgruppe durch die horizontale Anordnung weiterhin möglich sein soll.

2. Mikro-Arrangements

Es gibt viele verschiedene Kriterien nach denen Chorsänger zueinander positioniert werden können. Die Methoden der akustischen Chorsänger-Platzierung sind dabei sehr zahlreich und versprechen große Effekte:

Noble spaculates that through this system of auditioning and placement, probably 75% of potential problems can be solved before the first note is sung.

(Tocheff, 1990, S. 40)

Akustische Chorsänger-Platzierung

Die Stimmen verschiedener Chorsänger unterscheiden sich naturgemäß hinsichtlich physikalischer Merkmale. Das Ziel der akustischen Chorsänger-Platzierung ist es die Sänger so zu positionieren, dass die Stimmen bezüglich Blending, Balance, Chorischer Intonation und freier Tonproduktion optimal zusammenwirken können. Vor allem amerikanische Chorleiter haben eine ganze Reihe von verschiedenen Methoden entwickelt, um dies zu erreichen (Noble; Williams; Eichenberger in Tocheff, 1990). Unter diesen Methoden gibt es wiederum solche, die sich auf gemischte Formationen beziehen und andere die Sänger nur innerhalb der Stimmgruppe neu positionieren. Voraussetzung all dieser Platzierungs-Techniken ist die Evaluation der Singstimmen aller Chormitglieder. Gängige Positionierungskriterien sind Stimmfarbe, Größe der Stimme und Vibrato.

Bei John Williams Vorgehensweise (in Tocheff, 1990, S. 43 ff.) werden alle Chorsänger in den Kategorien Stimmgröße und Vibrato-Intensität beurteilt. Zunächst werden die Tenorsänger so angeordnet, dass in der vordersten Reihe die Sänger mit den leichtesten Stimmen und dem kleinsten Vibrato stehen. In der mittleren Reihe werden Sänger mit mittellauten Stimmen und einem normalen Vibrato platziert, während in der hintersten Reihe die Sänger mit den lautesten Stimmen und dem größten Vibrato ihren Platz finden. Die Tenöre stehen nicht direkt hintereinander sondern auf Lücke. Nach und nach werden die Sänger der weiteren Stimmgruppen im gleichen Verfahren dazu positioniert. Eine Quartettaufstellung entsteht, bei der Stimmen mit den gleichen Eigenschaften (Stimmgröße und Vibrato-Intensität) nebeneinander stehen. Balance und Blending des Chors sollen profitieren, da die hinteren, lauteren Stimmen sich durch die räumliche Position automatisch besser mit den leiseren vorderen vermischen, ohne dass ein Sänger genötigt wäre, sich an einen ganz anderen Stimmtyp anzupassen. Das hilft der freien Tonproduktion als auch der chorischen Intonation. Die Verwendung von Chorpodesten ist dabei Voraussetzung für das Gelingen.

D. Choraufstellung und Einstudierung

1. Methode nach Gordon

Einen mehrmaligen Wechsel der Choraufstellung im Verlauf der Einstudierung bis zur konzertanten Aufführung schlägt Gordon (1977, in Tocheff, 1990, S. 48) vor. Er führt dazu an, dass der Notentext zunächst in Stimmgruppen gelernt werden soll. Ein Wechsel zur gemischten Aufstellung diene der weiteren Vertiefung, während ein letzter Wechsel zurück zur Stimmgruppenformation die Wiedererlangung von Blending unterstütze. Gordon sieht gemischte Chorformationen als vorrangig pädagogische Methode und weniger als Aufführungs-Option.


2. Methode nach Estermann

Folgende Methode für Chöre bis ca. 24 Personen habe ich selbst entwickelt und bereits erfolgreich getestet. Vorrangiges Ziel war es dabei das Entstehen von Abhängigkeiten zu vermeiden.

  • Die Einstudierung neuer Töne findet in Quartettformation statt; einreihig in einem Halbkreis (siehe Abbildung 8).
  • Die Sänger der selben Stimmgruppe (hier Sopran) sitzen mit einigem Abstand zueinander und können sich bei der ersten Einstudierung ihrer Stimme somit gut selbst als auch noch einigermaßen gegenseitig hören.
  • Doch der größte Vorteil stellt sich für den Chorleiter dar: in dieser Formation ist es möglich jeden einzelnen Sänger einer Stimmgruppe gesondert wahrzunehmen.
  • Sänger die Probleme haben fallen ihm so deutlich besser auf als in Stimmgruppen-Formationen.
  • Die Konsequenz: Eine Stelle wird jeweils so lange geprobt  bis alle Sänger einer Stimmgruppe mit der  Stelle sicher sind.
  • Später ist es ratsam für Blending und Balance innerhalb der Stimmgruppe in eine Stimmgruppen-Formation zu wechseln. Nun können aber alle Sänger bereits ihre Stimme eigenständig und sicher darbieten.
  • Während man zu Beginn etwas mehr Zeit einplanen muss, weil man so von jedem einzelnen Sänger einfordern kann, sollte „der Feinschliff“ danach vergleichsweise schnell gehen, da alle Sänger sicher ihre Stimmen beherrschen und ihre Aufmerksamkeit leichter auf andere Aspekte (z.B. Dynamik und Ausdruck) lenken können.
  • Anmerkung: Für manche Chorsänger ist es sehr ungewohnt oder sogar unangenehm, sich selbst so gut zu hören. Sprechen sie es an, gehen sie auf diese Ängste ein, loben sie den Mut der Sänger. Machen sie klar, dass es sehr gewinnbringend sein wird, das anfängliche Unbehagen zu überwinden.

E. Forschung zu Choraufstellungen

Einige empirische Studien beschäftigten sich bereits mit demEinfluss von Choraufstellungen auf den Chorklang.

1. Gemischt vs. Stimmgruppen-Formationen

Bezüglich der Chorformationen nach Stimmgruppen und gemischten Formationen ergaben die Studien kein klares Bild. Die Gunst der Zuhörerschaft galt meist keiner der beiden Formationen in signifikanter Größenordnung (Lampion, 1961; Daugerhty, 1999). So zeigt auch eine aktuelle Untersuchung vom Wang (2006), dass die Wahl der Chorformation keinen signifikanten Effekt auf die Bewertung von Blending und Balance hat. Auch Tocheffs Experiment (1990) mit zwei Collegechören widmete sich unter anderem dieser Fragestellung. Wangs und Tocheffs Untersuchung (1990) ließen beide nur leichte Tendenzen zu Gunsten von Stimmgruppen-Sitzordnung erkennen.

2. Akustische Chorsänger-Platzierung

Beim gleichen Experiment konnte Tocheff einen signifikant positiven Einfluss der akustischen Chorsänger-Platzierung u.a. auf Blending und Balance feststellen. Die Ergebnisse eines Experiments von Eckholm (1999) mit einem ad-hoc Chor aus Gesangsstudenten wiesen ebenfalls auf einen positiven Effekt akustischer Platzierung hin.

Daugherty (2003) führte ein Experiment mit einem 20-köpfigen Collegechor aus Gesangsstudenten durch. Auch er untersuchte den Einfluss einer ähnlichen Platzierungsmethode und konnte keinen positiven Einfluss feststellen. Die Zuhörer (N=60) zogen den Klang der zufälligen Aufstellung dem Klang der platzierten Aufstellung sogar vor.

3. Abstände (spacing)

Des Weiteren untersuchte Daugherty den Einfluss des Abstands zwischen den Chorsängern. Die Ergebnisse wiesen auf signifikante Präferenzen der Zuhörer und Chorsänger für weitere Abstandsgrößen hin. Die Chormitglieder berichteten über weniger „vocal tension“ (Spannung/Druck) und eine freiere Tonproduktion durch die größeren Abstände. In einem früheren Experiment konnte Daugherty bereits zeigen, dass Abstände zwischen den Chormitgliedern mehr Einfluss auf die Leistung eines Chores haben können, als die Wahl der Chorformation (Daugherty, 1999).

4. Einfluss von Nachbarn

Ein ausführlicher Artikel zum Forschungsstand bezüglich des gegenseitigen Einflusses von Nachbarn im Chor folgt als gesonderter Artikel in diesem Blog … bestimmt … noch in diesem Jahrhundert!



 Verwendete Literatur

Alle Grafiken (inklusive des Beitragsbilds) wurden von mir selbst erstellt und dürfen nur mit meiner ausdrücklichen Zustimmung anderweitig als innerhalb dieses Artikels verwendet werden.

Daugherty, J.F. (1999). Spacing, Formation, and Choral Sound: Preferences and Perceptions of Auditors and Choristers. Journal of Research in Music Education. Vol. 47 (3): S. 224 ff.
Daugherty, J. F. (2003 ). Choir Spacing and Formation: Choral Sound Preferences in Random, Synergistic, and Gender-Specific Chamber Choir Placements. International Journal of Research in Choral Singing, Vol. 1 (1), S. 48-59.
Daughery, J. F. (2005). Choir acoustics. An empirical approach to the sound you want. Internetpublikation: http://web.ku.edu/~cmed/450/choiracoustics.pdf
Eckholm, E. (1999). The effect of singing mode and seating arrangement on choral blend and overall sound. Dissertation, McGill University, Montreal. Internetpublikation: http://digitool.library.mcgill.ca/R/-?func=dbin-jump-full&object_id=35878&silo_library=GEN01
Gordon, L. (1989). Choral director’s rehearsal and performance guide. Parker Publishing Company, New York.
Göstl, R. (2006). Chorleitfaden Band 1. Regensburg, ConBrio.
Hassemann, F., & Jordan, J. M. (1991). Group vocal technique. Chapel Hill, NC: Hinshaw Music, Inc.
Jones, D.L. (1967). A reality at B.T.H.S. west. Choral Journal. 8(1), S. 8-9.
Lambson, A. R. (1961) An Evaluation of Various Seating Plans Used in Choral Singing. Journal of Research in Music Education. Vol 9: S.47-54.
Tocheff, R.D. (1990). Acoustical placement of voices in choral formations. Dissertation, Ohio State University. Dissertation Abstracts International, 51,4055A.
Wang, W.-C. (2006) The effect of seating arrangement on choral sound in a non-selected mixed collegiate choral ensemble. Internetpublikation: http://scitation.aip.org/confst/ASA/data/6/1PMU10.pdf

6 Gedanken zu „Choraufstellungen – Ein Überblick“

  1. Ist es sinnvoll, wenn große Sänger in einem Männerchor ständig in der ersten Reihe stehen. Ich glaube kaum, da sie damit den Sichtkontakt der dahinten stehenden Sänger hindern. Außerdem verpufft dahinter die Stimmqualität der der hinter ihnen stehenden Sänger.

    1. Wenn die hintere Reihe von der Vorderreihe verdeckt wird, ist das weder optisch noch akustisch optimal. Nach Möglichkeit sollte man so versetzt stehen, dass jeder Sichtkontakt zum Dirigierenden aufnehmen kann. Bei gleichzeitiger Erhöhung der hinteren Reihe trägt es nachweislich zu einem besseren Chorklang bei.
      Sollte die Erhöhung aber durch die örtlichen Begebenheiten — z. B. keine Chorpodeste — nicht möglich sein, könnte man in der Tat erwägen, die Chorsänger nach Körpergröße zu platzieren, sofern die Stimmgruppen beibehalten werden können.
      Der ein oder andere wird allerdings Zeit brauchen um sich an seine neue Position zu gewöhnen. Das darf man nicht unterschätzen.
      Sprechen Sie Ihre Bedenken doch einfach bei Ihrer/m Chorleiter/in an. Entweder verweist sie/er auf triftige Gründe für diese Art der Choraufstellung oder nimmt ihren Impuls dankbar an.

  2. Ich habe kürzlich einen neuen Chor übernommen und die haben eine sehr seltsame Aufstellung, die ich vorher noch nicht kannte:
    Hinten: Männer (der Chor ist derzeit nur dreistimmig)
    Vorne: Alt Sopran

    Alt und Sopran sind also vertauscht. Ist das sinnvoll? Oder wäre die klassische Choraufstellung besser? Herzlichen Dank für die Antwort, Elisabeth Pütz

    1. Entschuldigen Sie bitte meine späte Reaktion. Ich denke, dass es bei Ihrem dreistimmigen Chor keinen Unterschied macht. Vierstimmige Chöre werden gerne so platziert, dass Außenstimmen – im gemischten Chor Sopran und Bass – voreinander stehen. Man erhofft sich davon, dass sich dadurch die Intonation stabilisiert, da der Sopran den Bass besser hören und zu ihm intonieren kann. Wenn die Männer aber ohnehin einstimmig singen, steht der Sopran sowieso immer vor der tiefsten Stimme. Insofern ist es nicht relevant, ob sie als Sopran/Alt oder Alt/Sopran vor dem Bass platziert sind. Es ist bzw. war lediglich für Sie eine Umstellung. Und das scheint mir einfacher realisiebar zu sein, als wenn sich zwei Stimmgruppen an eine neue Aufstellung gewöhnen müssen.
      Manchmal möchte man aber gerade dadurch „neuen Schwung“ reinbringen. Daher würde ich Sie dazu ermutigen wollen, durchaus mit neuen Aufstellungen zu experimentieren. Im obigen Artikel finden Sie vielleicht einige Anregungen für jene Aspekte, an denen Sie gerade mit Ihrem Chor arbeiten; sei es Intonation, Chorklang oder eine erleichterte Stimmproduktion.

  3. Vielen Dank für diese ausführliche Liste über Choraufstellungen und Ihren Blog. Ich hoffe Sie haben nichts dagegen, wenn ich meine Schüler auf Ihre Seite verweise. Manchmal ist es nämlich gut wenn man sich einen größeren Überblick über ein Thema verschafft, um die Unterkategorien besser einordnen zu können. Hier ist Ihnen das sehr gelungen!

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