Dieser erste Teil behandelt die Theoretischen Grundlagen der Phänome Klangfarbe, Vokale und Tragfähigkeit der Singstimme. In einem zweiten Teil sollen dagegen Übungen vorgestellt werden, um diese Phänomene beim eigenen Singen wahrzunehmen.
Vorweg für alle Skeptiker, die da Lesen dieses Artikels vielleicht für Zeitverschwendung halten: Singen lernen hat freilich in erster Linie mit fleißigem und klugem (!) Üben zu tun.
Aber das Verständnis von physikalischen und anatomischen Zusammenhängen sollen dem ein oder anderen entscheidende Impulse geben haben =)
Andererseits können zu viel Experimentieren und Reflektieren einen Lernprozess auch behindern, den Singenden verunsichern. Aber ich bin nicht euer Gesangslehrer, sondern bereite nur Informationen auf. Und so kann ich nur hoffen, das ihr alle für euch das richtige Mittelmaß zwischen dem Vertrauen auf Automatismen und Mut zum Experiment findet.
Zum Verständnis ist (leider) ein bisschen Physik-Wissen notwendig. Ich versuche es so knapp und anschaulich wie möglich zu machen =)
1. Partialtöne: Ein Ton aus vielen Tönen
Jeder gesungene Ton besteht aus einer Grundfrequenz und zahlreichen Obertönen. Obertöne sind die ganzzahligen Vielfachen der Grundfrequenz eines Tones. Man nennt diese auch Teiltöne bzw. Partialtöne.
Beispiel:
Eine Dame singt den Ton a1. Ihre Stimmlippen schwingen dafür 440 Mal in der Sekunde, also mit 440 Hz. Gleichzeitig schwingen kleinere Teile ihrer Stimmlippen auch noch doppelt und dreifach und vierfach, fünffach … so schnell, was u.a. die Obertöne in der Oktave a2 (880 Hz) und in der Undezime e3 (1320 Hz) mitklingen lässt. Diese vielen Teiltöne verschmelzen in unserer Wahrnehmung aber zu einem einzigen Ton mit einer bestimmten Klangfarbe.
2. Sound, Timbre, Klangfarbe: Nicht nur Anlage
Menschliche Stimmen können anatomisch bedingt unterschiedlich klingen. Man kennt es aus dem Alltag, dass wir Sprechstimmen von uns gut bekannten Personen mit einiger Zuverlässigkeit unterscheiden können.
Schon unsere im Detail unterschiedliche Anatomie führt nämlich dazu, dass bestimmte Partialtöne (siehe oben) verstärkt werden, also in unseren Hohlräumen im Nasen-/Rachenbereich wiederklingen können, und andere eher gedämpft werden.
Und dies ist je nach Beschaffenheit dieser sogenannten Resonanzräume eben sehr individuell.
Neben diesem anatomischen Gegebenheiten haben aber noch weitere Faktoren Einfluss auf unseres Stimmklang: Unterschiedliche Sprechgewohnheiten wie z. B. Dialekte oder Lispeln tragen zu Unverwechselbarkeit unseres Sounds bei. Daneben beeinflussen Emotionen und körperliche Verfassung unseren Stimmklang. So hören wir alle unseren Liebsten schon nach wenigen Worten am Telefon z. B. eine leichte Verärgerung oder Müdigkeit an.
Neben diesen eher unterbewussten Faktoren, können wir auch willentlich unseren Stimmklang beeinflussen. Für Schauspieler und Sänger ist das ihr täglich Brot. Durch bestimmte Vorstellungen und/oder Techniken verändern Sie die Form der Resonanzräume und beeinflussen zum Teil erheblich ihren Klang. Neben der Erzeugung dramaturgischer Effekte, kann dies auch für die Tragfähigkeit der Stimme genutzt werden (siehe Abschnitt 4).
Zusammenfassung: Die Form der Resonanzräume verändert die Lautstärke der einzelnen Partialtöne, was zu unterschiedlichen Klangfarben führt. Ihre grundsätzliche Beschaffenheit ist zwar Veranlagung, doch ein nicht unwesentlicher Teil ist formbar. Einen Einfluss auf die Form haben Sprechgewohnheiten, Emotionen, körperliche Verfassung und willentliche Formveränderungen.
3. Vokale und Formanten: Sie können nicht ohneeinander
Beim Singen eines bestimmten Vokals formen wir unsere Artikulatoren – Zunge, Lippen, Kieferöffnung und Gaumensegel – auf eine bestimmte Weise. Dadurch werden bestimmte Partialtöne unseres gesungenen Tons verstärkt, andere bleiben leiser.
Vokale unterscheiden sich also durch ihre Klangfarbe voneinander. So könnte man also durchaus davon sprechen, dass ein Ton die Klangfarbe „A“ oder „O“ hat. Wenn wir einen Vokal formen, werden immer zwei Formanten – also Frequenzbereiche – besonders stark betont. Je nachdem, in welcher Kombination sie auftreten, hören wir dann die unterschiedlichen Vokale (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1: Gemittelte Formantlagen aus dem Vokaldreieck
Vokal-Formant-Zentren | |||
deutscher Vokal | IPA | Formant f1 | Formant f2 |
U | u | 320 Hz | 800 Hz |
O | o | 500 Hz | 1000 Hz |
å | ɑ | 700 Hz | 1150 Hz |
A | a | 1000 Hz | 1400 Hz |
ö | ø | 500 Hz | 1500 Hz |
ü | y | 320 Hz | 1650 Hz |
ä | ɛ | 700 Hz | 1800 Hz |
E | e | 500 Hz | 2300 Hz |
I | i | 320 Hz | 3200 Hz |
Hierbei handelt es sich also um eine willentlich, wenn auch bei Erwachsenen weitgehend automatisierte Beeinflussung der Klangfarbe. Wie weiter oben bereits erwähnt, spielen aber auch andere Faktoren eine Rolle.
Zusammenfassung: Die Klangfarben gesungener Töne unterscheiden sich je nachdem, welcher Sänger mit seinen individuellen anatomischen Anlagen und Gewohnheiten welchen Vokal in welcher Emotion, Verfassung und ggf. welcher speziellen Technik (dazu später mehr) singt.
Exkurs: Das war Ihnen zu heftig?
Wem das eben erwähnte zu wissenschaftlich war, dem hilft vielleicht folgende Analogie weiter: Eine Lampe strahlt Lichtwellen in allen sichtbaren Frequenzbereichen ab; es erscheint uns als weißes Licht. Zwischen uns und der Lichtquelle platzieren wir einen Filter. Dieser lässt bestimmte Farbfrequenzen mehr durch, andere weniger. Der Filter ist aber nur zu einem Teil statisch (vgl. Anatomie). Es gibt eine ganze Reihe von Einflussfaktoren (siehe oben), die den Filter verändern können.
Hinter dem Filter vermischen sich die zahlreichen Farbfrequenzen für uns zu einer Farbe (vgl. Klangfarbe).
4. Durch das Orchester „hindurch“ singen: Der Sängerformant
Was ich bisher noch nicht explizit erwähnt habe, ist, dass ein gesungener Ton mehr als nur zwei Formanten (Bereiche mit relativen Lautstärkegipfeln) hat. Während die unteren beiden Formanten immer für die Wahrnehmung des Vokals zuständig sind (siehe oben), sind die darüber liegenden Formanten für das „Timbre“ einer Stimme zuständig.
Klassische Sänger werden darin trainiert, durch eine bestimmte Einstellung ihrer Artikulatoren (Zunge, Nasen-/Rachenraum etc.), den dritten und vierten Formanten so eng zusammenzuführen, dass ein sogenannter Formanten-Cluster (ein Haufen) entsteht. Die Schallenergie wird optimalerweise in jenem Frequenzbereich gebündelt, der im klassischen Orchester naturgemäß eher schwach vertreten ist: zwischen 2400 und 3000 Hz. Dieser „Trick“ macht klassische Sängerstimmen so tragfähig, dass sie trotz des hohen Schalldrucks eines ganzen Orchesters noch hörbar sind. Diese Technik trägt dadurch auch zur Entlastung des Stimmaparrats bei. Es stellt einen nicht unwesentlichen Teil der klassischen Gesangsausbildung dar, zu lernen diesen Sängerformanten in jeder Lage bei jedem Vokal und in einem weiten Lautstärkespektrum zu bilden, während man „ganz nebenbei“ noch schön musizieren soll 😉
In der oben erwähnten Licht-Analogie: Klassische Sänger können ihren Filter so einstellen, dass ihre Farbe hervorsticht – quasi „neon“ scheint – und so zwischen den vielen Farben des Orchesters hervorleuchtet, obwohl die Kraft ihrer Quelle begrenzt ist.
5. Am Vokal „schrauben“: Die Technik des Formant-Tuning
Eine weitere Technik ist das sogenannte Formant-Tuning. Hierbei wird die Klangfarbe eines Vokals so angepasst, dass die mittleren Frequenzen der beiden Vokalformanten genau auf die Frequenzen von Obertönen des gesungenen Tons treffen. Der Effekt ist die Verstärkung der Lautstärke ohne zusätzlichen Kraftaufwand.
Hierbei wird mitunter der Sound des Vokals etwas verändert, was aber von manchen SängerInnen mitunter in Kauf genommen wird, um eben ohne zusätzlichen Kraftaufwand lauter und somit hörbarer singen zu können.
Gerne würde ich hin & wieder einmal über den singblog via Twitter berichten … wäre das in Ihrem Sinne ?
Herzliche Grüße,
David vom Einsingraum – Team !
Lieber David,
Das wäre mir eine Freude.